„Nie wieder – ist jetzt.“
Wer sich mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt hat, weiß genau was dieser Satz bedeutet. Und doch sind wir der Gefahr von 1933 näher denn je, seitdem die AfD mit ihrer rechtsextremen sowie rassistischen Ausrichtung salonfähig geworden ist und bundesweit hohen Zuspruch unter der Bevölkerung erfährt – nämlich Werte zwischen 16-22%. Auf einer Konferenz in Potsdam im November 2023 stellten Rechtsextremisten zusammen mit der AfD ihren „Masterplan zur Remigration“ vor. Wenn man den Status quo der Stimmung im Land nun im Kontext zur Deutschlands Gesellschaft setzt, kann es einem schon mal kalt den Rücken runterlaufen. 29 % haben hier einen sogenannten Migrationsh„Nie wieder – ist jetzt.“intergrund, dazu gehören auch Arbeitsmigranten, um die es auch in diesem Theaterstück geht.
Die Bühnenfassung des Films „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder dient als Grundlage der Inszenierung. Das deutsche Melodram, das sich in München abspielt, handelt von einer Liaison, die in den 70er-Jahren Deutschlands einem Skandal gleicht und sich heute, 50 Jahre später, ähnlich abspielen könnte. Sie: über 60, Witwe deutscher Herkunft. Er: 20 Jahre jünger, Marokkaner mit gebrochenem Deutsch. Emmi und Ali. Bereits vor ihrer Hochzeit erfährt die Beziehung große Ressentiments von Seiten der eigenen Kinder, Kolleginnen, Verkäufer und Nachbarn: Wut, Hass, Lästereien. Das Paar steht vor vielen Herausforderungen, die Deutsche ohne Migrationshintergrund nicht kennen.
Der Text ist mit Illusionsunterbrechungen in der Originalverfassung, mit Bezügen zur heutigen Situation, übernommen worden
Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) war ein deutscher Filmemacher, Schauspieler und Dramatiker. Er gilt als einer der wichtigsten Protagonisten und Katalysatoren des Neuen Deutschen Films und als Vertreter des „Antitheaters“, das sich als Provokation des Publikums verstand. Seine über 40 Filme sind vielseitig und produktiv und umfassen eine Vielzahl von Genres, wobei er am häufigsten Elemente des Hollywood-Melodrams mit sozialkritischen und avantgardistischen Techniken vermischt. Seine Filme erforschten, wie er selbst sagte, „die Ausbeutbarkeit von Gefühlen“. Seine Arbeit war tief in der deutschen Nachkriegskultur verwurzelt: die Folgen des Nationalsozialismus, das deutsche Wirtschaftswunder und der Terror der Roten Armee Fraktion. Er war kein Regisseur der Weite und der offenen Horizonte, kein Pathetiker der Landschaft oder der Natur; seine Domäne waren die Enge, die Bedrängungen des Dekors, darin Verspiegelungen und Durchblicke, wo er die poetischen Orte des Kammerspiels aufsuchte und den unterdrückten Gefühlen in falschen Gesten (et vice versa) zur Wahrheit ihrer uneingestandenen Wünsche verhalf. Fassbinder war, in seinen historischen so gut wie in seinen aktuellen Arbeiten, ein unnachsichtiger Chronist der menschlichen Verluste und ein Emphatiker der Leiden.
Regisseurin:
Dr. Monika Dobrowlańska (Schauspiel- und Opernregisseurin, Autorin, Schauspiel- und Hochschuldozentin, Prix-Tournesol Preisträgerin beim Festival d’Avignon 2017 in der Kategorie Beyond Borders) versteht sich als europäische Regisseurin und verbindet in ihren Inszenierungen erfolgreich verschiedene Theatertraditionen. Seit 2002 lebt und arbeitet sie als freie Regisseurin in Berlin, wo sie u.a. mit dem Maxim Gorki Theater, Hebbel Theater und der Akademie der Künste zusammengearbeitet hat. 2012 gründete sie das interkulturelle Künstlerkollektiv multicultural city. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf interkulturellen Inszenierungen über Identität und persönlicher sowie politischer Freiheit. Dabei sind ihr marginalisierte Personengruppen ein besonderes Anliegen.
Videographie:
Der Künstler Yukihiro Ikutani, 1979 in Japan geboren, erwarb Abschlüsse in Fine Art in Tokyo sowie Szenografie an der Filmuniversität Potsdam-Babelsberg. Er hat langjährige Erfahrung als Regisseur, Designer und Art Director im Bereich Film. Genauere Informationen zu einzelnen Projekten können Sie unter https://elektrokagura.com/wp-content/uploads/2019/06/YukihiroIkutani_CV.pdf nachschlagen.
multicultural city
Zu den Schwerpunkten der Theatergruppe multicultural city e.V. aus Berlin gehören u.a. die Erarbeitung von experimentellen Theaterformen, die aus der Begegnung von verschiedenen Kulturen resultieren. Künstlern aus aller Welt wird eine Arbeitsbegegnung ermöglicht. Die Förderung des gegenseitigen Verständnisses, der Toleranz und des Respekts durch die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Stereotypen sind hierbei ein besonderes Anliegen und werden als experimentelle Bühnenformen erforscht und entwickelt. Die Theaterproduktionen wurden auf zahlreichen europäischen Theaterfestivals gezeigt. Seit 2012 konnten viele Kooperationspartner in mehreren europäischen Ländern gewonnen werden. Neben den Theaterproduktionen engagiert sich multicultural city für die soziale Situation von Bühnenkünstlern, insbesondere für die Weiterqualifizierung von Schauspieler*innen mit Migrationsgeschichte.
Eine wichtige Entscheidung der Regisseurin war es, das Stück mit Schauspielerinnen zu inszenieren, die selbst Arbeitsmigrantinnen aus verschiedenen Ländern wie Chile, Spanien, Marokko, USA, Österreich etc. sind, und mit ihnen einen Zugang zu einer Episode der Arbeitsmigration der 70er Jahre zu finden. Ein Schwerpunkt war die Frage, wie sich die Gesellschaft seitdem verändert hat. Insbesondere wird untersucht, wie sich Migranten in der deutschen Gesellschaft fühlen, die in den 70er Jahren nach Deutschland kamen und heute den rasanten Aufstieg der AFD erleben. Auf diese Weise werden aktuelle gesellschaftliche Themen mit historischen Erfahrungen verknüpft:
„Fassbinder schrieb sein Stück 1974, und seitdem hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz von muslimischen Männern, die in ihren Herkunftsländern keine höhere Bildung genießen konnten, möglicherweise nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Seit 2001 ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern eine zunehmende Muslimfeindlichkeit zu beobachten, von der Männer stärker betroffen zu sein scheinen als Frauen. Dies wird auch durch verschiedene Studien belegt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Auswahl der Gäste in Talkshows, die sich mit dem Re-Migrationsskandal der AFD beschäftigen. Mir fallen ausschließlich junge Menschen mit Migrationshintergrund auf, die in Deutschland geboren sind und perfekt Deutsch sprechen. Warum werden keine ehemaligen Gastarbeiter eingeladen? Ist die Generation der Gastarbeiter mit ihrem oft nicht perfekten Deutsch immer noch nicht salonfähig? Dabei haben sie maßgeblich zum Wohlstand in Deutschland beigetragen. Wie fühlen sie sich, wenn sie von “Rückwanderungsplänen” hören, nachdem sie 30 bis 40 Jahre oder noch länger ihr Leben Deutschland gewidmet haben?
Die Medienberichterstattung spielt ohnehin eine große Rolle bei der Wahrnehmung von Migranten: Eine einseitige Berichterstattung, die sich nur auf Extremismus, Terrorismus oder kriminelle Aktivitäten konzentriert, kann zu Vorurteilen und Misstrauen führen und die Akzeptanz beeinträchtigen. Ich hätte mir gewünscht, dass sich Journalisten ihrer meinungsbildenden Rolle bewusster sind.
Eine weitere Frage, die mich interessiert, ist, ob und inwieweit die Wahrnehmung der ersten Gastarbeiter, die Mitte der 50er Jahre in die BRD kamen, noch davon beeinflusst war, dass nur 10 Jahre zuvor die Zwangsarbeiter Deutschland verlassen haben.
Dieser Zusammenhang wird in der öffentlichen Diskussion, wenn es um die Integration von Gastarbeitern ging, ausgeblendet. Als Person mit polnischem Migrationshintergrund drängt sich mir diese Erinnerung zwangsläufig auf, zumal mehrere Familienmitglieder, darunter meine jüngste Tante, bereits im Alter von 11 Jahren Zwangsarbeit leisten mussten.
Es ist wichtig festzuhalten, dass politische und wirtschaftliche Faktoren nicht die einzigen Determinanten sind, sondern dass auch individuelle Einstellungen und kulturelle Normen eine Rolle spielen. Dennoch können politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie die Darstellung in den Medien einen erheblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Migranten haben.
Rechtspopulismus und Rassismus sind leider zu einem gesamteuropäischen Problem geworden. Deshalb freue ich mich auf den europäischen Austausch im Rahmen des TRANET-Projekts und hoffe, dass wir gemeinsam Ideen entwickeln, um diese Probleme zu lösen.“ (Monik Dobrowlanska)
Die szenische Arbeit von Monika Dobrowlanska zeichnet sich durch minimalistische Bühnenbilder und Requisiten aus. Live-Projektionen des japanischen Künstlers Yukihiro Ikutani, mit dem sie seit einigen Jahren zusammenarbeitet, unterstützen diese Ästhetik
Zeit: 19:30 Uhr
On stage: 27 Februar 2025
Theaterproduktion: multicultural city e.V., Berlin
Regisseurin: Monika Dobrowlańska
Besetzung: Helmuth Höger, Elena Louro, Alex Lee, Julia Vandehof, Maik Dehnelt, Rim Mekkaoui, Berfin Akkuzu, Yavuz Akkuzu, Mika Bücking
27 Feb 2025, 19.30 Uhr: Angst essen Seele auf
Die Aufführung wird per Live-Stream nach Mailand und Avignon übertragen. Anschließend an die Vorstellung transnationale Publikumsdiskussion mit dem Publikum in Avignon und Mailand.
28 Feb 2025, 11 Uhr: Angst essen Seele auf
1 Mär 2025, 19.30 Uhr: Angst essen Seele auf
2 Mär 2025, 15 Uhr: Angst essen Seele auf
3 Mär 2025, 19.30 Uhr: Seine Rolle spielen, Luigi Pirandello Live-Stream aus dem PACTA Theater, Mailand, deutsche Übertitel
Anschließend transnationale Publikumsdiskussion
6 Mär 2025, 19.30 Uhr: Die Sklaveninsel, Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux, Live-Stream aus dem Archipel Theater, Avignon. deutsche Übertitel
Anschließend transnationale Publikumsdiskussion
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